Als Bloggerin eines Musentempels, äh Museums, werde ich heute einmal über Musen schreiben. Generell wird es in diesem Jahr schwerpunktmäßig um Künstlerinnen und Künstlerfrauen gehen. Vor allem unbekanntere Künstlerinnen sollen im Fokus stehen.
Beginnen will ich aber mit berühmten Künstlerinnen und deren männlichen Musen. Nicht etwa, um die patriarchalische Herrschaftsstruktur zu bedienen und sogar bei den Musen den Männern den Vortritt zu lassen, sondern als Geschenk für alle Leserinnen zum Internationalen Frauentag. Vielleicht inspiriert das ja den einen oder anderen Leser, seine musisch begabte Partnerin zu unterstützen. 😉
Was kennzeichnet die ideale Muse? Welche Aufgaben hat sie? Wie wird ihre Arbeit gewürdigt? Was ist ihre Motivation?
Nicht nur grammatikalisch ist die Muse weiblich, sondern fast ausschließlich, wenn man die Kunst- und Kulturgeschichte betrachtet. Hinter vielen Künstlern stehen häufig gebildete und tatkräftige Frauen, die ihre Energie und manchmal sogar ihr gesamtes Leben dem künstlerischen Schaffen des Partners widmen.
Die Ehefrauen und Partnerinnen der Künstler, sie agieren zumeist im Verborgenen und verschwinden hinter ihren berühmten Männern.
Der Musenbegriff
Musen sind zahllos, manche sogar namenlos. So wie die ersten Musen der Antike. Die neun Töchter der Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung, und des Göttervaters Zeus waren die Schutzgöttinnen der Künste.
Erst später erhielten die Musen ihre Namen, Funktionen und Attribute. Ihre Aufgaben bestehen darin, die Ausübenden der „Schönen Künste“ zu beflügeln.
Was ist denn nun mit männlichen Musen?
Ein Wort dafür gibt es im Duden nicht, und „Muserich“ klingt einfach etwas blöd. Für die männlichen Hebammen wurde beispielsweise das Wort „Geburtshelfer“ gefunden. Was wäre also mit „Kunsthelfer“?
Vermutlich ist es müßig, ein Wort für etwas zu entwickeln, das es im wahren Leben gar nicht gibt. Oder etwa doch?
Tagelang habe ich gegrübelt, habe über meine Suche auf dem Großen Jour fixe das Museumsteam befragt und natürlich in unserer Bibliothek und im weltweiten Netz recherchiert.
Dann endlich fiel mir jemand ein…
„Triumph des Findens“
Leni Riefenstahl hatte eine männliche Muse! Schon seltsam, dass mir ausgerechnet diese Nazi-Propagandistin und Hitlerschwärmerin als Erste eingefallen ist. Liegt womöglich daran, dass ich in den Neunzigern einmal eine sehr umstrittene Ausstellung über Leni Riefenstahl im Potsdamer Filmmuseum gesehen habe.
Ihr Lebensgefährte und persönlicher Kameramann, ein gelernter Mechaniker, fiel vor allem dadurch auf, dass er über vierzig Jahre jünger war als die Filmkünstlerin.
Mit über hundert Jahren, quasi auf ihrem Sterbebett, heiratete Riefenstahl ihren Partner. Vermutlich wollte sie damit die Deutungshoheit ihres Werks weiterhin in verlässliche Hände geben, denn bis zum Schluss hatte sie keinerlei Problembewusstsein bezüglich ihrer NS-Vergangenheit gezeigt. Riefenstahls Lebensgefährte hieß Horst Kettner. Nach dessen Tod im Jahr 2016 kam der Nachlass Leni Riefenstahls übrigens zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz und wird derzeit aufgearbeitet.
Ein Foto von Horst Kettner konnten wir bislang noch nicht auftreiben. Vielleicht liegt es ja daran, dass er zumeist hinter der Kamera stand.
Vom Muserich geküsst…
Kurz darauf hörte ich das aktuelle Feuilleton auf Bayern2. Wie elektrisiert fuhr ich hoch, als das Wort „Muserich“ fiel. Das war ja wie bestellt! Es kam ein Beitrag über Virginia Woolf und ihren Ehemann Leonard.
Virginia und Leonard kannten sich schon viele Jahre, bevor sie 1912 heirateten. Leonard gab seine sichere Stellung als britischer Beamter auf, und beide beschlossen, fortan nur noch von der Schriftstellerei zu leben.
Virginia Woolf war sehr produktiv und enorm erfolgreich. Sie schrieb unzählige Essays, Romane, Theaterstücke, Briefe oder auch Tagebücher und war sogar als Verlegerin tätig. Virginia Woolf gilt noch heute als wichtigste Vertreterin der englischen Erzählliteratur.
Auch über ihr Leben gibt es unzählige Verfilmungen, Hörspiele oder Theaterstücke. Oft wird darin auch thematisiert, dass die Schriftstellerin zeitweilig unter Depressionen litt und Suizidversuche unternommen hatte.
Leonard verordnete ihr dann Ruhe und gute Ernährung. Es heißt, er habe sogar über eine ihrer Krankheitsphasen Buch führte. Immer wieder hatte Leonard die Suizidversuche verhindern können, aber im März 1944 gelang es ihm nicht mehr. Seine Frau ertränkte sich in einem Fluss.
Bis zu Virginias Freitod hatte Leonard Woolf 17 zumeist recht erfolgreiche Bücher geschrieben und veröffentlicht.
Danach hat er nur noch ein Buch verfasst, obwohl er erst 1969 mit 88 Jahren verstarb.
Nun gibt es ein neues Buch über das Ehepaar. Autor ist Michael Kumpfmüller. Er beschreibt, wie fürsorglich und voller Hingabe sich Leonard Woolf um seine Frau gekümmert, wie er sie geliebt, verstanden und gefördert hat. Den Radiopodcast findet Ihr hier.
Sie malte auch Musen
Als ich montags drauf ins Museum kam, stürzte mir sofort Simone Lipski entgegen, unsere Pressesprecherin. Sie hatte in der „Süddeutschen“ über eine Angelika-Kauffmann-Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast gelesen.
Angelika Kauffmann war sehr gebildet, weitgereiste Kosmopolitin, die in verschiedenen europäischen Ländern gelebt hat. In Rom führte sie einen Salon in ihrem Palazzo nahe der Spanischen Treppe. Mit Goethe und anderen Geistesgrößen ihrer Zeit war sie gut befreundet und tauschte sich mit ihnen aus.
Angelika Kauffmann gilt als berühmteste und erfolgreichste Malerin des Klassizismus. Sie portraitierte die High Society, malte historische oder religiöse Sujets und auch sehr gerne Musen. Sie konnte sich zudem auch gut vermarkten. Von ihrem Vater wurde sie bis zu dessen Tod gefördert und unterstützt. Er war es auch, der sie überzeugte, den 15 Jahre älteren italienischen Maler Antonio Zucchi zu heiraten. Zucchi war Kauffmanns zweiter Ehemann. Der erste hatte sich als widerlicher Heiratsschwindler entpuppt.
Zucchis künstlerisches Erbe ist marginal und steht ganz im Schatten seiner berühmten Frau. Daher verschwendet der Autor des Zeitungsartikels auch nur wenige Buchstaben für Antonio Zucchi und endet ganz lapidar mit dem Satz: „Er durfte ihr Auftragsbuch führen.“
„Die Kunst der schiefen Töne“
Mit dem Zeitungsartikel in der Hand ging ich zufrieden hinunter ins Archiv und sagte enthusiastisch:„Jetzt bräuchte ich noch eine männliche Muse aus dem Musikbereich.“
Sofort erinnerte sich Barbara Waibel, die Leiterin des LZ-Archivs, an einen Kinofilm über eine amerikanische Sängerin:
„Das war mit Meryl Streep und Hugh Grant. Diese Sängerin hat entsetzlich schlecht gesungen, war aber sehr bekannt und ist sogar in der Carnegie Hall auftreten. Ihr Partner hat sie massiv unterstützt. Aber den Namen weiß ich grad‘ nicht.“
Wenige Sekunden später hatte unsere Kollegin Kathrin Wurzer den Namen herausgefunden: Florence Foster Jenkins.
Sie war aus reichem Hause, erhielt früh Klavierunterricht und wurde als Wunderkind gehandelt. Sie trat sogar im Weißen Haus auf. Als sie Gesang studieren wollte, war ihr Vater dagegen, weshalb sich Florence dann mit Klavierunterricht über Wasser hielt.
Sie heiratete den Arzt Frank Thornton Jenkins, der sie mit Syphilis ansteckte. Drastische Behandlungsmethoden mit Quecksilber und wahrscheinlich auch die Syphiliserkrankung führten dazu, dass ihr Gehör und ihr Nervensystem geschädigt wurden und sie sämtliche Haare verlor. Deshalb musste sie für den Rest ihres Lebens eine Perücke tragen.
Nach sieben Jahren Ehe trennte sich das Paar.
Als der Vater starb und Florence ein großes Vermögen hinterließ, konnte sie endlich klassischen Gesang studieren und hatte mit über vierzig Jahren ihr Debüt als Operndiva. Weitere Konzerte folgten.
Obwohl sie derartig schief sang, dass sie als „schlechteste Sängerin der Welt“ oder „Mörderin des hohen C’s“ bezeichnet wurde.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie St. Clair Bayfield bereits kennengelernt, mit dem sie ihr restliches Leben lang zusammenblieb.
Foster Jenkins‘ Hörbeeinträchtigung war vermutlich auch der Grund dafür, dass sie nicht merkte, wenn sie falsch sang. Was sie aber trotzdem mit großem Selbstbewusstsein machte.
Das brachte ihr Kultstatus und einen großen Fanclub ein, dem auch Prominente wie Sir Thomas Beecham oder Cole Porter angehörten. Die Eintrittskarten zu ihren Konzerten wurden auf dem Schwarzmarkt hoch gehandelt.
Einen großen Anteil an ihrem Erfolg hatte auch ihr Partner St. Clair Bayfield. Als sie sich kennenlernten, war er ein mittelloser Schauspieler am Broadway. Zuvor hatte er auf unbedeutenden Bühnen vor allem als Shakespeare-Darsteller sein Geld verdient. Er sah gut aus, war gebildet und durch die gesamte englischsprachige Welt gereist.
St. Clair Bayfield gab die Schauspielerei auf und war ab diesem Zeitpunkt Foster Jenkins‘ Manager.
Und hier nun eine Aufnahme der „Mörderin des hohen C’s“, viel Spaß beim Hören!
Mode-Musen
Und dann gibt es noch eine sehr berühmte Muse aus der Kunstwelt der Mode, auf die mich unsere Kollegin Christine Buecher aufmerksam gemacht hat: Pierre Bergé. Er war Bankier, Kunstmäzen und der Lebensgefährte von Yves Saint Laurent. Bergé wurde auch in den Medien immer wieder explizit als Saint Laurents Muse bezeichnet.
Eine andere männliche Muse aus der Modewelt, aber nicht ganz so bekannt, ist Andreas Kronthaler, der Partner von Vivien Westwood. Diese gehört zu den wenigen Modedesignerinnen, die weltberühmt geworden sind. Westwood und Kronthaler fielen kurz vor “Redaktionsschluss“ noch unserer Leiterin der Kunstabteilung, Ina Neddermeyer, ein.
Aber die Mode-Musen könnt Ihr selber googlen…
Fazit:
Die meisten Musen sind unsichtbar, egal welchen Geschlechts. Sie sind vermutlich selbstlos, hilfsbereit und lieben ihre PartnerInnen. Da die traditionelle Rolle der Frau mit der Rolle der Muse einhergeht, gibt es wahrscheinlich so wenig männliche Musen. Gemeinsam mit einigen aus dem Team haben wir Jahrhunderte durchforsten müssen, um für den Zeitraum von knapp zwei Jahrhunderten doch tatsächlich SECHS männliche Musen gefunden. Was für eine Quote!